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1. Neoklassische Combining forms (Teil 1)

Unter neoklassischen Combining forms sollen hier Wortbildungselemente aus dem klassischen aber auch dem nachklassischen Griechischen und Lateinischen verstanden werden, die im heutigen Englisch benutzt und dort als selbständige Sinneinheiten verstanden werden. "Neoklassisch" und nicht "klassisch" sind diese Wortbildungselemente, weil sie

1.1. Neoklassische Bildungen

Auf der Grundlage einer nachklassischen Form gebildet wurde etwa benzo-3, dessen Etymologie wie eine Odyssee anmutet: Zugrunde liegt letztlich ein aus Sumatra stammendes Harz. Die Araber verwechselten Jawa mit Sumatra und brachten den "jawanischen Weihrauch", arab. [lʊbanʤawɪ] über ihre Handelsbeziehungen zu Südostasien nach Spanien und Italien. Dort wurde das anlautende lo- in sp. lobenjuí bzw. it. lobengiuì bald als bestimmter Artikel mißverstanden und abgetrennt. Über fr. benjoin entstand engl. benzoin und deutsch Benzin. Für die Alchimisten/Chemiker war das Harz aus Sumatra, für das sie die mittellateinischen Formen benzoe und benzoinum4 (1626) schufen, eine wahre Fundgrube: Sie gewannen daraus "Benzoësäure": benzoic acid, und "Benzol": benzene. Die Combining form benzo- steht für diese beiden Verbindungen.

1.1.1. Zur Bedeutung neoklassischer Sprache

Lateinisch war auch nach seinem Aussterben als Alltagssprache die Sprache der Wissenschaft. Diese klassische Tradition hielt bis ins 17. Jhd. an: Harvey und Newton etwa schrieben ihre großen Werke auf Latein.5Auch in späteren Jahrhunderten bedienten sich Wissenschaftler des Lateins, wenn sie ihre Erkenntnisse auf internationaler Ebene austauschen wollten. Die Rolle als internationale Wissenschaftssprache hat erst in diesem Jahrhundert das Englische voll übernehmen können.

In der Biologie z.B. ist es aber auch heute noch üblich, bei Entdeckung einer neuen Tier- oder Pflanzenart, diese mit einem lateinischen Namen zu belegen. Bei der immensen Anzahl an wissenschaftlichen Entdeckungen in nachklassischer Zeit sind allerdings sehr viele Wortungetüme produziert worden, in denen der Name eines Entdeckers oder der eines Entdeckungsortes zwanghaft latinisiert wurde, so etwa im Bereich der Botanik:

lat. engl. dt.
Pinus engelmanni Engelmann pine Engelmannkiefer
Abies bornmuelleriana Bornmueller fir Bornmüllers Tanne

oder im Bereich der Mikrobiologie Bakterien wie:

Daß, wie bei benzo-, aus einem nachklassischen Kunstwort eine Combining form abgeleitet wird, ist aber wohl wegen deren Fremdartigkeit recht ungewöhnlich. Einfacher erscheint dies, wenn eine klassische Form für die Namensgebung benutzt wurde, so z.B. bei dem Namen der griechischen Gottheit OύranόV für das Element uranium, dessen im Englischen gebundenes Allomorph uran- auch in uranyl, dem Radikal UO2- auftaucht.

1.2. Verlagerung der klassischen Bedeutung

In ähnlicher Weise fällt auf, daß sich die Bedeutung einer klassischen Form in nachklassischer Zeit verlagert:Im klassischen Latein bedeutete z.B. virus "Schleim, Gift, Geifer". Von Bedeutung für die Combining form viro-, wie sie etwa in virology, virogenetic, viral, etc. auftritt, ist aber nicht dieser, sondern der von Pasteur 1880 (OED) zum ersten Mal benutzte Virusbegriff.

1.2.1. Homonymenbildung durch Clipping

Oft existiert auch neben einer Combining form mit klassischer Bedeutung eine zweite homonyme Form mit verlagerter Bedeutung: Hierbei übernimmt ein Teil einer klassischen Verbindung durch Clipping auch die Bedeutungsmerkmale des anderen Teils: So bedeutet eco- meist nicht gr. oί̃koV, "Haus", wie in economy, ecology, sondern es bedeutet als Clipping selbst "Ökologie", wie z.B. in eco-catastrophy, ecophysiology, ecosphere, eco-activist, eco-freak.

Die Form -nomics in urbanomics, voodoonomics und Reaganomics, (alle Webster's) steht für economics. In ähnlicher Weise mag bio- oft nicht nur für "Leben" stehen, sondern eine geclippte Form von biology sein.

Die Combining form tele- steht bei heutigen Bildungen zumeist nicht mehr für "entfernt, weit, fern", wie in telepathy und telescope, telegram, sondern viel häufiger für "television", wie in telecast, teletext, telestudio, teledrama, telechair etc. oder für "telephone", wie in tele-ad, telelecture, telesale etc..

1.2.2. Bedeutungsänderung der Verbindung

Es kann auch vorkommen, daß zwei Combining forms, die auch schon zu klassischer Zeit in jeweils dieser Bedeutung als Wortbildungselemente existierten, in ihrer Verbindung heute eine andere Bedeutung haben als damals; so bedeutete biolόgoV "Schauspieler, einer der das (menschliche) Leben in Worten darstellt"6, eine Bedeutung, die mit der eines heutigen biologist nichts mehr zu tun hat.

1.3. Hybridbildungen

Das stärkste Argument schließlich, warum man Combining forms, die auf das Griechische oder Lateinische zurückgehen, als neoklassisch bezeichnen muß, ist schließlich die Tatsache, daß sie Hybride bilden.

1.3.1. Rein neoklassische Hybride

Beispiele hierfür sind Kombinationen mit je einer griechischen und einer lateinischen Komponente, wie

1.3.2. Hybride aus je einem neoklassischen und einem nicht-neoklassischen Element

Hybride werden auch als Verbindungen klassischer Elemente mit Formen aus modernen Sprachen, etwa mit dem Englischen selbst gebildet, wie z.B. in speedometer, clapometer.7 Bauer führt jazzophile. (Bauer 1983: 214)

Das OED verzeichnet Bildungen auf -crat und -cracy, wie

International durchgesetzt hat sich eine Hybridbildung der Formen -cracy und -crat mit einem Französischen Wort:

Auch der erste Bestandteil in squirearchy ist französischen Ursprungs (frz. esquier). Da die Verbindung allerdings im Französischen auch nicht mit e-Protheticum belegt ist, muß man sie wohl als englisch-griechischen Hybrid bezeichnen.

X. Exkurs: Pseudoklassische Formen

Letztgenannte Formen, die aus dem Französischen oder dem Englischen stammen, sind selbst nicht neoklassisch. Wenn, was hier offen bleiben soll, eine gewisse Frequenz ein notwendiges Kriterium der Combining form ist, so sind die meisten dieser pseudoklassischen Formen noch nicht einmal als Combining forms zu bezeichnen. Um dies auch in der Gliederung deutlich zu machen, sollen pseudoklassische Formen hier im Rahmen eines Exkurses behandelt werden.

X.1. auf -o-

Pseudoklassische Formen gehen mit neoklassischen Combining forms Verbindungen ein und geben sich dabei deren äußere Form. Hierbei wird zu einem freien Morphem des Englischen durch Anhängen des Formativs -o- ein gebundenes Allomorph gebildet.

X.2. ohne -o-

Bauer meint, daß das Anhängen dieses Formativs unterbleibt, wenn die initiale nicht-klassische Form bereits auf Vokal einschließlich des in der Received Pronunciation (RP) vokalischen -er auslautet. Er führt hier das Beispiel sniperscope an. (Bauer 1983: 214)

Dem widersprechen die Belege brokerocracy und countyocracy. Das Anhängen eines Fugenvokals unterbleibt wohl tatsächlich, wenn das nicht-klassische Morphem ohnehin bereits o-ähnlich auslautet, wie im Falle von bureau. Der o-ähnliche Auslaut wird dann allerdings bei gleicher Graphie je nach den Akzentverhältnissen des gebildeten Wortes einmal betont als [ɒ] in [bjʊǝr'ɒkrǝsɪ], und ein anderes Mal unbetont als ['bjʊǝrɒkræt]9 ausgesprochen.

Ein Fugenvokal wird auch dann nicht angehängt, wenn das Ausgangsmorphem mit einer vokalisch anlautenden Combining form - etwa -archy - verbunden werden soll: squirearchy.

Innerhalb der RP handelt es sich jedoch auch bei squire- ['skwaɪǝr] in squirearchy ['skwaɪǝra:kɪ] um eine gebundene Form mit Linking-"r" gegenüber der freien Form squire ['skwaɪǝ]

X.2.1. Spezialfälle

Ein Spezialfall ist debtno- in debtnocrat10 Ob das zusätzliche -n- in debtno- hier von techno- in technocrat beeinflußt ist oder ob es sich bei einem debtnocrat nicht vielleicht sowieso um einen debt-(tech-)nocrat handelt, die Form also ein Clipping compound ist, ist schwer zu entscheiden. Auch -(a)holic, wie in:

geht auf Clipping (Wortkürzung) zurück. Zugrundezulegen ist alcoholic. Anders als bei der möglichen Analyse debt-nocrat, bei der -nocrat immer noch für technocrat stünde, hat -(a)holic gegenüber alcoholic das Sem [+ alcohol] eingebüßt und steht nur noch für [+ addict]. Ein workaholic ist keiner, der beim Arbeiten Alkohol trinken muß, sondern einer, für den Arbeit das ist, was für einen alcoholic der Alkohol ist. Entprechendes gilt für die anderen genannten Beispiele.

Auch die geclippte Form -athon in drinkathon, sale-a-thon (Web), talkathon, walkathon (OED), die das OED und Longman als Combining forms führen, hat verglichen mit der nicht geclippten Form marathon nicht den vollen semantischen Merkmalsbestand.

Zwar sind die Etyma der Formen -(a)holic (alcohol) und -athon (Marathon) auch neoklassisch belegt, weil sie aber unter Bedeutungsverlagerung im Englischen bebildet wurden und bis dato auch in keiner anderen Sprache produktiv geworden sind, ist hier wohl das Attribut "pseudoklassisch" angebrachter. Schon aufgrund ihrer hohen Frequenz müssen -(a)holic und -athon als Wortbildungselemente des Englischen angesehen werden. Ob als Suffix oder als Combining form, soll unter 5.6.1. bzw. 2.1.1. erörtert werden.

X.3. Unikalität/Frequenz

Im Gegensatz zu den terminalen Formen -aholic und -athon sind die initialen Formen barristero-, brokero-, clapo-, clubo-, cottono-, countyo-, (debtno-), jazzo-, mobo-, shipo-, shopo-, slaveo-, snobo- und speedo- allesamt unikal: Sie kommen, wenn man von abgeleiteten Formen wie -cracy aus -crat absieht, jeweils in Verbindung mit nur einer einzigen terminalen Combining form vor.

Schon wegen ihrer zu geringen Frequenz werden diese pseudoklassischen Formen von keinem englischen Wörterbuch als Combining forms geführt, was allerdings noch nicht impliziert, daß sie keine sind. Erhebt man allerdings eine gewissen Grad an Kombinierbarkeit zum wesentlichen Merkmal der Combining forms, so sind sie auszuschließen. Eine Ausnahme ist hier foolo-, das in foolocracy, foolometer und foolosopher (OED) in völlig unterschiedlichen Umgebungen auftaucht.

X.4. Morphemgrenze pseudoklassischer Formen

Die Frage, ob es sich bei der ersten Konstiuente einer pseudoklassischen Verbindung um eine Combining form handelt oder nicht, würde sich erübrigen, wenn man sie, was man bei synchroner Betrachtung tun kann, nicht in Zusammensetzung mit -cracy, -crat bzw. -meter, sondern mit -ocracy, -ocrat bzw. -ometer sähe: Mit diesen etymologisch nicht korrekten Formen träten dann nämlich nicht gebundene Allomorphe sondern die freien heimischen Morpheme selbst in Verbindung. Allerdings träfe dies nicht auf speed- in speedometer [spɪdɒmɪtə] zu, das dann immer noch ein gebundenes unikales Allomorph [spɪd] zum freien Morphem [spi:d] wäre.

1. Neoklassische Combining forms (Teil 2)

Nach dem Exkurs über pseudoklassische Formen, über deren Zugehörigkeit zu den Combining forms die Wörterbücher aufgrund zu geringer Frequenz keine Aussage machen können, kann jetzt mit der Beschreibung der Charakteristika neoklassischer Combining forms fortgefahren werden.

1.4. Struktur der neoklassischen Combining forms
1.4.1. Der Fugenvokal

Als Charakteristikum neoklassischer Zusammensetzungen fällt der Fugenvokal auf. Als Fugenvokal von Combining forms aus dem Griechischen ist -o- am weitaus häufigsten, weshalb viele Wörterbücher besonders häufig gebrauchte terminale Combining forms wie -logy, -meter und -scope auch jeweils in einer Variante mit anlautendem -o- verzeichnen. Dann verweisen sie aber immer auf die etymologisch korrekte Form ohne -o-.

1.4.1.1. Phonische Erwägungen

Bei synchroner Analyse der neoklassischen Combining forms könnte es tatsächlich auf den ersten Blick von Vorteil erscheinen, den Fugenvokal nicht der initialen, sondern der terminalen Combining form zuzuschlagen. Die konkrete Realisation des Fugenvokals richtet sich nämlich nach der Endung. Je nachdem wird er in

trigonometry [trɪgǝ'nɒmɪtrɪ] wie [ɒ], in
trigonometric [trɪgǝnǝ'mɛtrɪk] und
trigonometrical [trɪgǝnǝ'mɛtrɪkl] aber wie [ǝ]

ausgesprochen.

Allerdings muß es sich bei dem Fugenvokal etwa zu -meter, -metry und -metrical nicht unbedingt um ein -o- handeln, wie die folgenden Beispiele beweisen:

Auch hier hängt zwar die konkrete Realisation des Fugenvogals von der Endung ab; um welchen Vokal und um welches Graphem es sich hier im Prinzip handelt, hängt aber von der initialen Folge ab.

1.4.1.2. Lexikographische Erwägungen

Nicht zuletzt lexikographisch-praktische Gründe verbieten es daher, den Fugenvokal der terminalen Combining form zuzuordnen: Würde ein Lexikon derart verfahren, so müßte es unter den Einzeleinträgen -ametry, -emetry, -imetry, -ometry und -ymetry und ihren korrespondierenden Formen auf -er, -ic und -ical jeweils die Umgebungen angeben, in denen sie auftreten. Dies würde ein Wörterbuch unnötig aufblähen und nicht gerade praktikabler gestalten.

Die etymologisch korrekte Zuordnung des Fugenvokals zur initialen Combining form erleichtert überdies den Vergleich dieser neoklassischen Internationalismen in verschiedenen Sprachen. In anderen Sprachen mag wegen festerer Akzentverhältnisse die Realisation des Fugenvokals keinen oder geringeren Schwankungen als im Englischen ausgesetzt sein. Dort entfällt dann das phonische Argument für eine Zuordnung zur terminalen Combining form. Vergleiche den Fugenvokal im Deutschen:

sowohl Trigonometrie [trɪgonomɛ'tri:]
als auch trigonometrisch [trɪgono'metriʃ] wie [o]

1.4.1.3. Abweichende Formen

In Einzelfällen kann sich auch eine etymologisch nicht korrekte Form international durchsetzen, dann nämlich, wenn eine terminale Combining form sehr kurz ist und ohne einen anlautenden Fugenvokal Verwechslungsgefahr mit einem Suffix besteht; z.B. bei -oid12 und -ode, wie in alkaloid, humanoid, trapezoid, bzw cestode und nematode, deren -o- nicht zum Etymon eίdήV, 'Form' gehört.

1.4.2. Tilgung des Fugenvokals

Ein fast durchgängiges Prinzip einiger Wörterbücher des Englischen, so des Collins Dictionary of the English Language und des Longman Dictionary of the English Language ist es, für initiale Combining forms jeweils neben einer Variante mit, auch eine Variante ohne auslautenden Fugenvokal anzugeben und darauf hinzuweisen, daß die Variante ohne vokalischen Auslaut dann zum Tragen kommt, wenn mit einer vokalisch anlautenden Combining form kombiniert wird.

1.4.2.1. Tilgungsregel

Man kann stattdessen auch eine Tilgungsregel formulieren: Initiale neoklassische Combining forms verlieren prävokalisch den vokalischen Auslaut.

mono- + -archy = monarchy
leuko- + -(a)emia = leuk(a)emia
electro- + -ic = electric
electro- + -ode = electrode
metallo- + -urgy = metallurgy

1.4.2.2. Ausnahmen

Man beachte aber Ausnahmen, bei denen der auslautende Vokal der initialen Combining form nicht getilgt wird, wohl weil er als distinktives Merkmal des Stammes fungiert:

poly- + -androus = polyandrous
di-13 + -ode = diode

Bemerkenswert sind auch initiale Combining forms, deren auslautender Vokal einmal prävokalisch getilgt wird, ein anderes Mal aber nicht:

tetra- + -arch = tetrarch
tetra- + -ethyl = tetraethyl

1.4.3. Initiale Combining forms ohne Variante mit Fugenvokal

Bauer behauptet, es gäbe zu jeder initialen Combining form ohne Fugenvokal mindestens eine Variante mit Fugenvokal. (Bauer 1983: 214)

Das Gegenbeispiel hierzu bietet die Chemie: Zu nennen sind hier ethane und alkane. Die "Alkane" sind gesättigte Kohlenwasserstoffe, d.h. zwischen den einzelnen Kohlenstoffatomen der Verbindung bestehen keine Mehrfachbindungen. Diese Tatsache wird durch terminales -ane14 ausgedrückt. Die Halbstrukturformeln für die Alkanreihe lauten:

methane CH4
ethane H3C-CH3
propane H3C-CH2-CH3
butane H3C-CH2-CH2-CH3
pentane H3C-CH2-CH2-CH2-CH3
hexane H3C-CH2-CH2-CH2-CH2-CH3
heptane H3C-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH3
octane H3C-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH3 usw.

Bis einschließlich butane sind die Bezeichnungen mit einer eigenen, nur in der Chemie verwendeten initialen Combining form gebildet:

meth- zu gr. mέJu, Wein
eth- zu gr. aίJήr, Äther
prop(a)- letztlich wohl zu  gr. prω̃toV, der Erste und gr. pίwn, Fett15
but(a)- zu gr. boύturon, Butter

Ab einschließlich fünf Kohlenstoffatomen Länge bedienen sich die Chemiker der auf der Grundlage griechischer Numeralia gebildeten Combining forms, die auch in anderen Disziplinen als der Chemie Verwendung finden und zu denen auch Varianten mit vokalischem Auslaut existieren, z.B. in decapod, "Zehnfüßler" und pentagon, "Fünfeck". In diesem Zusammenhang interessieren daher nur die ersten vier Glieder der Alkanreihe.

Jedes Kohlenstoffatom kann vier Bindungen eingehen. Eine Doppel- oder Dreifachbindung zwischen zwei Kohlenstoffatomen linearer Kohlenwasserstoffe ist erst ab ethene möglich. Das Vorhandensein genau einer Doppelbindung wird durch die terminale Form -ene, das einer Dreifachbindung durch die Form -yne ausgedrückt:

ethene H2C=CH2
ethyne HCºCH
propene H2C=CH-CH3
propyne HCºC-CH3 usw.

Als Oberbegriff spricht man dann von alkene bzw. alkyne. Mehrere Mehrfachbindungen sind erst ab drei Kohlenstoffatomen Länge möglich. Das Vorhandensein zweier Mehrfachbindungen wird mit den Combining forms -di- für zwei und -ene für Doppelbindung bzw. -yne für Dreifachbindung signalisiert. Hierbei taucht ein Fugenvokal auf:

propadiene H2C=C=CH2
butadiyne HCºC-CºCH

Entsprechend existieren triene, triyne, enyne, dienyne usw. sowohl in Verbindung mit initialer neoklassischer Combining form, als auch als freie Formen16.

Varianten initialer Combining forms mit vokalischem Auslaut existieren also von propa- an aufwärts. Nicht belegt sind vokalisch auslautende Varianten hingegen für meth-, eth- und alk-, da sie nur an vokalisch anlautende terminale Formen treten können. Die Form meth- tritt außer in methane nur noch in der Bezeichnung methyl auf, wobei die Form -yl anzeigt, daß es sich hierbei um ein Radikal mit einer freien Bindung handelt.

methyl H3C-
ethyl H3C-CH2- usw.

Wegen zu geringer Frequenz wird meth- in keinem Wörterbuch verzeichnet. Als einzige unstrittige Beispiele neoklassischer initialer Combining forms, zu denen keine Varianten mit vokalischem Auslaut existieren, verbleiben somit alk- und eth-. Letzteres verzeichnet Longman zu Recht als Combining form. Zumindest in diesem Fall muß der Behauptung Bauers, es existiere zu jeder initialen Combining form mindestens eine Variante auf Vokal, widersprochen werden. (Bauer 1983: 214)

Die Formen eth- und alk- sind Spezialfälle, die auch vernachlässigt werden könnten. Sie sind hier dennoch in aller Länge vorgestellt worden, weil derselbe Gedankengang unter 5.5.1. noch einmal relevant werden wird, nämlich bei der Beantwortung der Frage, ob es sich bei -ane, -ene, -yl und -yne um terminale Combining forms oder um Suffixe handelt. Letzteres wird immer wieder von den meisten Wörterbüchern des Englischen behauptet. Vielleicht übernimmt man hier einfach die Begriffe der chemischen Fachliteratur, die allerdings an der Frage, ob es sich hierbei um Suffixe oder um Combining forms handelt, naturgemäß weniger Interesse hat, als es ein Wörterbuch haben sollte.

1.4.4. Morphologie

Morpheme sind die kleinsten bedeutungtragenden Einheiten eines Sprachsystems. Um solch kleinste, in ihrer Bedeutung nicht weiter analysierbare Einheiten scheint es sich bei den meisten initialen Combining forms zu handeln. Eine einseitige Fixiertheit auf initiale Formen mag daher auch Stein und Surek-Becker dazu verleitet haben, generell von Combining forms als "bound morphemes" zu sprechen. Bei Steins Beispielen initialer Combining forms: astro-, cosmo-, eco-, Euro-, in-, macro-, mega-, micro-, multi-, neo-, panti- (pantigirdle) und para- handelt es sich tatsächlich um Morpheme. Auch ihr einziges und für Combining forms nun wirklich nicht repräsentatives, weil nicht neoklassisches terminales Beispiel -in(sit-in, die-in) muß man als Morphem bezeichnen. (Stein 1977: 140, Surek-Becker 1981: 30f)

Betrachtet man aber gängige Beispiele terminaler neoklassischer Combining forms, so stellt man fest, daß diese ihrerseits aus mehreren Morphemen bestehen, und zwar zumeist aus je einem lexikalischen und einem funktionalen Morphem:

-androus (monandrous, polyandrous) aus andr(o) + ous
-cidal (biocidal, genocidal) aus cid(e) + al
-scopic (microscopic, rhinoscopic) aus scop(e) + ic

andr-, cid- oder scop- sind lexikalische; -al, -ic oder -ous sind funktionale, Adjektive bildende Morpheme. Zwar entspricht die Analyse von bio- + -cidal nicht der Analyse der unmittelbaren Konstituenten (Immediate Constituent Analysis, ICA) von biocid- + -al, Lexikographen haben jedoch gute pragmatische Gründe, diese Formen als Einheiten zu verzeichnen und als Combining forms zu klassifizieren. (vgl. 2.2.1.2.)

Mit Ausnahme des OED geschieht dies auch bei allen untersuchten Wörterbüchern. Chambers verzeichnet, wie eingangs bereits behandelt, überhaupt fast nur abgeleitete und damit dimorphemische terminale Formen als Combining forms und versieht alle übrigen mit dem Zusatz "in composition".

Aber auch initiale Combining forms können ihrerseits wiederum aus mehreren Morphemen bestehen. So verzeichnet das OED zoologico- (zoologico-archaeologist) als Combining form zu zoological, die ihrerseits aus den Combining forms zoo- und logico- besteht.

1.4.5. Zusammenfassung

Zusammenfassend läßt sich also zur Struktur der neoklassischen Combining forms folgendes festhalten:

Terminale wie initiale Combining forms müssen nicht unbedingt Morpheme oder Morphemvarianten sein; sie können aus mehreren Morphemen bestehen.

Von wenigen Ausnahmen (ethane, alkene) abgesehen, besitzen neoklassische Verbindungen einen Fugenvokal. Dieser gehört zu einer initialen Combining form. Der Vokal wird in aller Regel von der initialen Combining form getilgt, wenn diese an eine vokalisch anlautende terminale Form tritt. (Ausnahme: dioxide, tetraethyl).

Die konkrete Realisation des zur initialen Combining form gehörenden Fugenvokals richtet sich nach der Endung, an die er tritt (terminale Combining form, Kompositionsglied oder Suffix).

1.5. Distribution der neoklassischen Combining forms

Bauer muß auch in einem weiteren Punkt widersprochen werden, nämlich wenn er ausführt, daß sich "finale" Combining forms (FCFs) und Suffixe insofern voneinander unterschieden, daß nur erstere mit initialen Combining forms (ICFs) kombiniert werden könnten:

Während electrolyte, electrophile, electrophonic, und electroscope alle existierten, seien *electroness, *electroization, *electroesque, etc. alle nicht möglich. (Bauer 1983: 214)

Was ist aber mit einer Form wie electric? "Die Form electro- leitet sich aus electric ab und nicht umgekehrt", so mag Bauer hier einwenden. Bei diachroner Betrachtung mag dies zutreffen. Bei rein synchroner Betrachtung läßt sich electro- aus electric aber ebensogut ableiten, wie umgekehrt: Vor dem mit Vokal anlautenden Suffix -ic wird der auslautende Fugenvokal -o- der Form electro- regelgemäß abgetrennt und ergibt electric.

1.5.1. Diachrone Betrachtung

In diachroner Betrachtungsweise kann electric nicht auf die Combining form electro- zurückzuführen sein: Die Form electric ist laut OED zum ersten Mal in einem Zitat von Newton belegt (Er sprach 1675 von "The electric virtue of the glass"), während die Combining form electro- erst 1749 in einem electrometer auftritt.

Aber es existieren auch Gegenbeispiele von Combining forms, die das OED als älter belegt, als entsprechende Adjektive auf Suffixe wie -al, -ic und -ous. So ist etwa belegt:

astronomer, astrologer (1382) älter als astral (1605)
chirographer (1483) älter als chiral (1894)
cyclometry (1656) älter als cyclic (1794)
gigantomachy (1606) älter als gigantic (1612)
glossographer (1607) älter als glossal (1860)
glottology (1841) älter als glottal (1846)
aber jünger als glottic (1839)
laryngotomy (1661) älter als laryngal (1818)
lithoglyphic (1623) älter als lithic (1797)
meteorologician (1588) älter als meteoric (1631)
und älter als meteorous (1667)
metrology (1816) älter als metric (1866)
rhinoceros (1400),
rhinobyon (1858) und
rhinoscope (1861) älter als rhinal (1864)
sacrosanct (1601) älter als sacral (1882)
seismometer (1841) älter als seismic (1858)
und älter als seismal (1864)
sporophorous (1879) älter als sporal (1882)
thermometer (1633) älter als thermal (1756)

Nun kann man einwenden, daß es sich bei den auf der linken Seite stehenden Belegen ja nicht um Combining forms handelt, sondern um lexikalische Einheiten, die komplett aus Fremdsprachen ins Englische übernommen wurden und deren Bildung außerhalb des Englischen erfolgte, lange bevor dort entsprechende Combining forms produktiv wurden.

So werden etwa astrologer, astronomer und rhinoceros wohl kaum im Englischen aus ihren Bestandteilen gebildet, sondern direkt aus dem Griechischen entlehnt sein. Bei den übrigen Belegen, sowohl den neoklassischen Verbindungen, als auch den Adjektiven auf die Suffixe -al, -ic und -ous, mag man eine französische Mittlerschaft oder in vielen Fällen sogar Urheberschaft vermuten. Hierbei wäre dann die Frage, ob eine Combining form für ein Adjektiv Pate stand oder umgekehrt, in der jeweiligen Herkunftssprache zu untersuchen.

1.5.2. Synchrone Betrachtung
1.5.2.1. Lexikographische Erwägungen

Solch weitgehende diachrone Betrachtungen, die sich über Sprachgrenzen hinweg erstrecken, dürften aber für Benutzer eines gängigen einsprachigen Wörterbuchs, wenn überhaupt, nur von nachrangigem Interesse sein: Sie werden sich primär dafür interessieren, welche Verwendungsmöglichkeiten für eine bestimmte, im Wörterbuch verzeichnete Combining form bestehen. Die Information, daß sich electro- und astro- mittels Suffigierung in electric und astral überführen lassen, ist dabei von weitaus größerer Bedeutung, als die ohnehin nicht mit letzter Sicherheit zu klärende Frage, ob dies der historischen Realität entspricht.

1.5.2.2. Erwägungen des Spracherwerbs

Dafür, daß man hier einer synchronen Betrachtungsweise den Vorzug gibt, sprechen auch die Prozesse des Erwerbs von Englisch (und nicht nur Englisch) als Muttersprache: Die Form astro- etwa wird einem heutigen Kind wohl zum ersten Male in astronaut begegnen, für die das OED 1929 den ersten Beleg in der Bedeutung "Raumfahrer" aufweist. Später, viel später erst werden diesem Kind astronomers und astrologers begegnen, vermutlich weil es letztere weit weniger faszinierend finden wird. Vielleicht wird sich dieses Kind, bei entsprechender sprachlicher Begabung, dann die Bedeutung einer Combining form astro- im Analogieschluß extrahieren. Dabei wird ihm egal sein, daß astrologer und astronomer viel älter sind als das Produktivwerden der Form astro- im Englischen: Es wird astrologers und astronomers mit astronaut in Verbindung bringen und nicht umgekehrt; für das Kind ist astronaut der erste Beleg. Ob ihm jemals die Form astral begegnen wird, ist, wenn es sich nicht näher für die Astrophysik interessiert, fraglich. Sollte dies jedoch der Fall sein, so wird es astral- über die Form astro- verstehen.

In ähnlicher Weise dürfte ein Kind im Prozeß der sprachlichen Sozialisation im Englischen in aller Regel zunächst mit thermometers und erst danach mit thermal waters in Berührung kommen. Umgekehrt sei eingestanden, daß ihm Adjektive wie: central, electric, gigantic, graphic, metric, phenomenal, sacral, social und technical früher geläufig sein werden als entsprechende Combining forms in Formen wie: centrosome, electrolyze, gigantomachy, graphology, metronome, phenomenology, sacropictorial, sociology, technology.

Wenn hier auch die Beispiele, bei denen Combining forms von einem Adjektiv abgeleitet erscheinen, gegenüber denjenigen Beispielen überwiegen, bei denen sich dies genau umgekehrt verhält, so tun sie dies doch hier im Rahmen einer synchronen Analyse, innerhalb derer diese Frage letztlich ebenso müßig anmutet, wie jene nach der Henne und dem Ei. Will man eine allgemeingültige Aussage über Combining forms treffen, so läßt sich weder das eine noch das andere ausschließen: Adjektive können mittels Suffigierung aus Combining forms und Combining forms können bei Ersetzung des Suffixes durch einen Fugenvokal aus einem Adjektiv hergeleitet werden.

1.5.3. Distributionelle Definitionen
1.5.3.1. (Fach)Wörterbücher

Bauers These, daß nur terminale Combining forms und nicht auch Suffixe mit einer initialen Combining form eine Verbindung eingehen können, widerspricht auch das Longman Dictionary of Applied Linguistics (1985) in seinem Eintrag unter "Combining form":

combining form /kǝmbaɪnɪŋ fɔ:m || fɔrm/ a BOUND FORM that can form a new word by combining with another combining form, a word, or sometimes an AFFIX. For example, the combining form astr(o)-, `star´, can form the word astrology with the combining form -(o)logy, the word astrophysics with the word physics, and the word astral with the suffix -al. (...)"

Der These Bauers widersprioht auch Webster's New World Dictionary, Third College Edition (1988):

"combining form a word form that occurs only in compounds, or in compounds and derivatives, and that can combine with other such forms or with affixes to form a word (Ex.: anthropo- and -centric in anthropocentric)."

Noch weiter geht Webster's Third New International Dictionary (1961), (Webster's3), das die im Rahmen einer deskriptiv-linguistischen, d.h. synchronen Analyse beobachtbare Fähigkeit der Combining forms, mit Affixen eine Verbindung einzugehen, sogar zu einer der definitorisch notwendigen Bedingungen zur Abgrenzung von den Affixen erhebt:

"combining form n : a linguistic form that occurs in compounds or derivatives and can be distinguished descriptively from an affix by its ability to occur as one immediate constituent of a form whose only other immediate constituent is an affix (as cephal- in cephalic) or by its being an allomorph of a morpheme that has another allomorph that may occur alone (as electro-, representing electric in electromagnet, resini-, representing resin in resiniferous, forma-, representing formaldehyde in formalith, para-, representing parachute in paratrooper) or can be distinguished historically from an affix by the fact that it is borrowed from another language in which it is descriptively a word (as French mal, giving English mal- in malodorous) or a combining form (as Greek kako-, combining form of kakos, giving English caco- in cacography)."

Webster's3 Definition ist nicht sehr homogen: Sie legt willkürlich hier distributionelle, dort morphologische und schließlich etymologische Kriterien zugrunde. Der letzte, etymologische Definitionsteil verwendet überdies den Begriff, den er definieren soll und ist damit zirkulär.

Unangemessen erscheint der erste Definitionsteil, der Combining forms nur dann als als solche wertet, wenn sie Affigierungen zulassen oder von freien Morphemen abgeleitet sind. Angesichts der immensen Zahl von Combining forms allein aus dem Griechischen und Lateinischen und der darunter doch recht begrenzten Zahl derjenigen Combining forms, für die Suffigierungen belegt sind oder die freie Varianten haben, sind diese Kriterien kaum tauglich.

1.5.3.2. Distributionelle Definition Surek-Beckers

Auf den ersten Blick praktikabler erscheint hier die rein distributionelle Definition der Combining forms, die Surek-Becker im Rahmen ihrer Magisterarbeit vorgelegt hat:

"Combining Forms sind gebundene Morpheme oder gebundene Morphemvarianten mit der Fähigkeit der Kombination mit gebundenen Morphemen oder Morphemvarianten." (Surek-Becker 1981: 47)

Weiter unten - und auch sie steht damit im Widerspruch zu Bauer - führt sie aus, daß "ein weiteres unabdingbares Merkmal der combining forms darin" bestehe, "daß sie alle mit gebundenen Morphemen bzw. gebundenen Morphemvarianten zu Wortsyntagmen verbunden werden können (...) und zwar nicht nur mit weiteren Combining forms, sondern ebenso, wenn auch weitaus seltener, mit Affixen ...." Als Belege hierfür zitiert sie englisch afroism und deutsch technoid und telegen. (Surek-Becker 1981: 48)

Einmal abgesehen davon, daß der Morphembegriff auf Combining forms nicht anzuwenden ist, übersieht Surek-Becker hierbei allerdings, daß ihre sogenannten Suffixe -ism, -oid und -gen nach ihrer eigenen Definition gar keine Affixe sein können, handelt es sich doch auch bei ihnen um " gebundene Morpheme oder gebundene Morphemvarianten mit der Fähigkeit der Kombination mit gebundenen Morphemen oder Morphemvarianten."

Über die terminale Form -oid wird unter 5.3. noch zu streiten sein. Die englischen Entsprechungen zu deutsch -gen lauten -genic (telegenic, phytogenic) und -genous (alkaligenous, endogenous). Diese Formen werden von Collins, Longman und Webster's übereinstimmend als Combining forms verzeichnet.

Dies geschieht zu Recht, da man -genic und -genous wohl eine hohe Dichte an lexikalischer Information zuerkennen muß. Dieses semantische Kriterium hat Bauer zwar erkannt - leider aber nicht als notwendigen Definitionsbestandteil. (Bauer 1983: 215)

Daß auch Formen wie -ism oder aber die oben erwähnten Suffixe -ic, -al und -ous, deren Informationsgehalt sich, wie Bauer es ausdrückt, "in terms of function words" erschöpft, als Combining forms bezeichnet werden müßten, nur weil sie mit einigen wenigen Combining forms zusammentreten können, wäre aber wohl weder im Sinne Surek-Beckers noch Bauers.

1.5.3.3. Distributionelle Definition Bauers

Weniger verbindlich als in bezug auf initiale Combining forms (vgl. electro-, 1.5.), äußert sich Bauer hinsichtlich der Distribution terminaler Combining forms: "There is also some evidence that FCFs should be considered as combining exclusively with ICFs." (Bauer 1983: 214)

Bauers Zurückhaltung ist hier auch berechtigt, denn die Formen ana-, cata-, dia-, epi-, exo-, hyper-, hypo-, peri- und retro- werden im allgemeinen als Präfixe geführt, da sie in ihrer Bedeutung doch eher Präpositionen, Funktionswörtern also, entsprechen. Aus entsprechenden Präpositionen sind diese Präfixe zumeist auch abgeleitet. Mit diesen Präfixen "können", entgegen Bauers Vermutung, aber auch einige terminale Combining forms:

ana-: anadromous, anagram, analogy, analyze
cata-: catadromous, catalogue, catalyze
dia-: diadromous, diagram, dialect, diameter
epi-: epiboly, epicarp, epigram, epigraph
endo-: endocarp, endoscope
exo-: exocarp, exogamy
hyper-: hyper(a)emia
hypo-: hyponym
peri-: periscope
retro-: retrograde

Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang eine gewisse Unsicherheit der Lexika bei der Klassifizierung als Präfix. So etikettieren - jeweils abweichend von den übrigen untersuchten Lexika - Longman und Collins exo- und Webster's retro- als Combining form. Chambers legt sich nicht fest und spricht außer bei epi- und retro- ("prefix"), wie auch bei allen dort verzeichneten primären Combining forms, nur davon, daß diese Formen "in composition" vorkämen.

Trotz oder vielleicht auch gerade aus dieser Verunsicherung der Lexika wird deutlich, daß Surek-Beckers und Bauers Definitionen der Combining forms als "gebundener Morpheme (Formen) mit der Fähigkeit der Kombination mit gebundenen Morphemen (Formen)" in Wahrheit nicht die Abgrenzung von den Affixen leistet. (vgl.: Surek-Becker 1981: 47, Bauer 1983: 214)

Dies gilt sowohl für die Abgrenzung der initialen Combining forms von den Präfixen, als auch für die Abgrenzung der terminalen Combining forms von den Suffixen.

Machte man sich Bauers oder Surek-Beckers Definitionen zu eigen, so müßte man inhaltsarme, traditionell als Affixe bezeichnete Formen wie ana-, cata, dia-, epi-, endo-, exo-, hyper-, hypo, peri-, retro- (Präfixe) sowie -al, -ic, -ism, -ous, etc. (Suffixe) als initiale bzw. terminale Combining forms führen, weil auch sie in der Lage sind, "mit gebundenen Morphemen (Formen)" eine Verbindung einzugehen.

1.5.3.4. Distributionelle Definition Schmidts

Anders als Bauer und Surek-Becker hat Schmidt das distributionelle Dilemma zwar erkannt. Mit seiner Definition des Begriffs "Konfix", den er für die deutsche Lehnwortbildung vorschlägt, überlistet er sich jedoch nur selbst:

Ein Konfix ist nach Schmidt ein "basis- und/oder kompositionsgliedfähiges Kombinem". Unter "Kombinemen" wiederum versteht Schmidt "Wortbildungseinheiten, die nur in Kombinationen vorkommen, also nicht wortfähig sind." (Schmidt et al. 1987: 37-52) Als Basis bezeichnet man nach Bauer eine Form, "to which affixes of any kind can be added." (Bauer 1983: 21)

"Basisfähig" sind Formen nach Schmidt also dann, wenn sie als Basen Affigierungen zulassen, wie z.B. thermo- in thermal. (Schmidt et al. 1987: 42)

Entsprechend sind Formen "kompositionsgliedfähig", wenn sie als Kompositionsglieder mit anderen Kompositionsgliedern, d.h. anderen Konfixen oder Lexemen in Verbindung treten können, wie thermo- in thermophile bzw. thermonuclear. Affixe sind nach Schmidt nicht "basisfähig", weil sie keine Affigierungen zulassen.

Letztlich sagt Schmidt damit also nichts anderes, als daß der Begriff "Affix" ein Wortbildungselement bezeichnet, das nicht mit einem Affix "kann", und daß "Kompositionsglied" ein Wortbildungselement bezeichnet, das mit einem anderen Kompositionsglied "kann".

Einmal ganz abgesehen davon, daß diese Definitionen offensichtlich zirkulär sind, lassen sie sich auf das Englische auch nicht anwenden, denn ansonsten dürfte es dort ein Wort wie ultraism gar nicht geben: Alle untersuchten Wörterbücher des Englischen sind sich darin einig, daß ultra- ein Präfix und -ism ein Suffix ist. Der Fall Affix + Affix ist aber bei Schmidt et al. nicht vorgesehen. (Schmidt et al. 1987: 444)

1.6. Semantik der neoklassischen Combining forms

Aus allen bisherigen Ausführungen ergibt sich, daß eine rein distributionelle Definition der neoklassischen Combining forms, wie Bauer, Schmidt und Surek-Becker sie versuchen, nicht hilfreich zu deren Abgrenzung von den Affixen ist. Abhilfe kann hier nur eine Definition schaffen, die sich an der Distribution und der Semantik der neoklassischen Combining forms orientiert.

Im Gegensatz zu den Affixen haben Combining forms eine relativ eigenständige Bedeutung. In Martinets Terminologie könnte man Combining forms mit "autonomen Monemen" vergleichen.

1.6.1. Autonomie
1.6.1.1. nach Martinet

Der Begriff "Monem" entspricht bei Martinet dem Begriff des Morphems, der sich in der Sprachwissenschaft inzwischen international durchgesetzt hat: Kleinstes bedeutungtragendes Element einer Sprache. Auch Martinet benutzt den Begriff "Morphem", allerdings nur in bezug auf gebundene Morpheme.

"Autonom" ist ein Monem, wenn es nicht nur einen Bezug zu einem Element der Erfahrung hat, sondern auch in einem bestimmten Verhältnis zu den anderen Elementen der Erfahrung steht, die vermittelt werden sollen (Bsp.: yesterday, quickly).

Demgegenüber dient ein "funktionales Monem" nur dazu, die Funktion anzuzeigen, in der ein anderes Monem steht. (Bsp.: to in: He gives the book to John.) (Martinet 1960: 108, vgl.: Pei 1966: 165)

Auf Wortbildungselemente angewendet, ist co- in coauthor und cohere17 ungeachtet dessen, ob es in Verbindung mit einer freien oder einer gebundenen Form steht, ein funktionales Monem (Morphem), weil es für das funktionale Monem together steht und sich auch aus einem funktionalen Element, nämlich lat. cum herleitet. Umgekehrt ist -gamy in exogamy bzw. polygamy ein autonomes Monem, weil es, egal ob in Verbindung mit einem funktionalen Element exo- oder einem anderen autonomen Element poly-, für marriage steht und damit einen direkten Bezug zur außersprachlichen Realität hat. Combining forms und Affixe lassen sich also vielleicht insofern unterscheiden, als erstere autonomen und letztere funktionalen Monemen entsprechen.

1.6.1.2. Autonomie nach Pupier/Stein/Koschmieder

Pupier unterscheidet lexikalische und grammatische Einheiten: Präpositionen und Konjunktionen seien - obwohl mit eigenen Lexikoneinträgen bedacht - eigentlich keine lexikalischen Einheiten (Lexeme), weil sie in ihrer Funktion den Präfixen und den Endungen entsprächen. (Pupier 1969: 187)

Diesen strengen Lexembegriff legt wohl auch Stein zugrunde, wenn sie feststellt: "The meaning of combining forms largely corresponds to lexemes in English ...". (Stein 1977: 142)

Mit Koschmieder könnte man von einer "autosemantischen Funktion" der Combining forms sprechen. (Koschmieder 1957: 17)

1.6.1.3. Autonome Bi-Morpheme

Der Vergleich der Combining forms mit den autonomen Monemen ist insoweit problematisch, als es sich bei ihnen nicht immer um Moneme, d.h. Mono-Morpheme handelt: Viele, insbesondere viele terminale Combining forms bestehen aus zwei Monemen; je einem autonomen und einem funktionalen Monem. (Vgl.1.4.4.)

besteht aus dem autonomen Monem (andr), das für male organ(s) steht, und dem funktionalen Monem (ous), das für having (a specified number of ...) steht,

besteht aus autonomem -cid, das das Lexem killing oder killer repräsentiert und aus funktionalem -al, das für relating to ... steht.

besteht aus autonomem -scop für examination und funktionalem -ic für concerned with ...

Die Beispiele mit abgeleiteten terminalen Combining forms ließen sich beliebig fortsetzen. Es handelt sich bei ihnen um Zwitterformen, Bi-Morpheme mit teils autosemantischer, teils synsemantischer Funktion.

1.6.1.4. Relative Autonomie

Man kann also bei Combining forms nicht generell absolute Aussagen treffen, etwa derart, daß sie autonomen Monemen oder Lexemen entsprächen oder daß sie rein autosemantisch seien. Mit Bauer läßt sich nur eine Tendenz in Relation zu den Affixen festhalten: "They (combining forms) contain a higher density of lexical information than prefixes (and suffixes) do ...." (Bauer 1983: 215)

Der Begriff der Autonomie ist ohnehin nie absolut zu sehen; Bauer beklagt zu Recht, daß für den Gehalt an lexikalischer Information kein objektives Maß besteht: Des Problems der Unterscheidung von lexikalischen und grammatischen (funktionalen) Elementen ist sich auch Pupier durchaus bewußt: "On ne pense plus aujourd'hui que seuls les (...) mots pleins aient un sens, alors que les morphemes (grammaticaux) n'auraient qu'une forme." (Pupier 1969: 188)

Lexikalische Dichte ist nie absolut, sondern immer relativ. Es wird daher im folgenden immer nur davon die Rede sein, daß eine Form verglichen mit einer anderen eine höhere, niedrigere oder gleich hohe Dichte an lexikalischer Information aufweist. Ab welchem Gehalt an lexikalischer Information eine Form nicht mehr als Affix, sondern als Combining form eingestuft wird, bleibt damit letztlich dem Ermessen jeder einzelnen Wörterbuchredaktion überlassen. Gegenstand von Kritik kann letztlich nur sein, daß Formen vergleichbarer "lexikalischer Dichte" inkonsistent klassifiziert werden. Das Aufzeigen solcher Inkonsistenzen wird das Thema der Kapitel 4. und 5. sein.

1.7. Neue, distributionell-semantische Definitionen der Affixe, der Combining forms und der Kompositionsglieder

So unbefriedigend, weil letztlich subjektiv, das relative Kriterium lexikalischer Dichte auch sein mag: Es ist das einzige, das eine - wenn auch sehr unscharfe - Abgrenzung der Combining forms von den Affixen leistet. Gerade diese Unschärfe spiegelt sich ja aber auch - wie bereits unter 1.5.3.3. gesehen - in schwankender Klassifizierung durch die Wörterbücher.

Nach der Betrachtung der neoklassischen (und evtl. pseudoklassischen) Combining forms lassen sich damit folgende Definitionen festhalten:

Combining forms sind nur gebunden vorkommende Wortbildungselemente mit relativ hohem Gehalt an lexikalischer Information.


Affixe sind nur gebunden vorkommende Wortbildungselemente mit relativ niedrigem Gehalt an lexikalischer Information.

Das semantische Kriterium relativ hohen bzw. niedrigen Gehaltes an lexikalischer Information dient zur Abgrenzung von Affixen und Combining forms auf der einen, von relativ frei vorkommenden Kompositionsgliedern auf der anderen Seite:

Kompositionsglieder sind Wortbildungselemente, die mit gleicher Bedeutung und Lautung auch als freie Wortformen existieren

Der Begriff "Kompositionsglied" ist hier nicht identisch mit dem Kompositionsgliedbegriff von Schmidt, der darunter Konfixe (Combining forms) ebenso wie all jene Lexeme versteht, die auch in Zusammensetzungen auftreten. (Schmidt et al. 1987: 52)

zum Kapitel 2.

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