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3. Combining forms oder Affixoide? - Ein Streit um Begriffe

Mit der neuen Definition wird den Combining forms eine Zwischenstellung zugewiesen: Es handelt sich bei ihnen weder um Affixe noch um Kompositionsglieder. Dennoch teilen sie mit beiden jeweils ein Kriterium: Mit den Affixen verbindet die Combining forms die Gebundenheit, mit den Kompositionsgliedern haben sie einen relativ hohen Gehalt an lexikalischer Information gemein.

Als Zwischenformen treten Combining forms aber in Konkurrenz mit anderen Formen der Fachliteratur, die über die unterschiedlichsten Definitionen ebenfalls einen Platz zwischen den Kompositionsgliedern und den Affixen beanspruchen.

3.1. Marchands Halbsuffixe

Unter "semi-suffixes" versteht Marchand "such elements as stand midway between full words and suffixes." Als Halbsuffixe subsumiert er terminale heimische Formen wie -like, -worthy, -monger, -way(s), -wise, -wort und -wright mit unter den Suffigierungen. Aus verschiedenen Gründen seien die obigen Formen allesamt gebunden, auch -like und -worthy, die zwar gleichlautende und gleichbedeutende freie Pendants haben (vgl.:2.1.5.), sich aber syntaktisch (bei der Negation) anders verhielten20.

Halbsuffixe und nicht bloß Suffixe sind die obigen Formen für Marchand aus folgendem Grund: "Some of them are used only as second-words of compounds, though their word character is still clearly recognizable." (Marchand 1969: 356ff.)

Worauf er bei "word character" anspielt, ist nicht ersichtlich. Marchand definiert den Begriff "word" selbst ausschließlich distributionell als "free morpheme". (Marchand 1969: 1)

Dies kann er mit "word character" bei Halbsuffixen ja wohl nicht meinen. Meint vielleicht auch Marchand hier eigentlich einen Lexemcharakter? Tatsächlich werden seine Halbsuffixe teilweise als Combining forms verzeichnet:

3.2. Fleischers Affixoid

Was Marchand als Halbaffix beschreibt, nämlich Wortbildungselemente, die zwischen den Kompositionsgliedern und den Affixen anzusiedeln wären, wird in der Germanistik auch häufig als Affixoid bezeichnet:

Vergleicht man etwa Collins' Einträge unter -free, -man, -prone, -proof und -wise (Combining form) mit denen ihrer deutschen Entsprechungen im Duden-Bedeutungswörterbuch -frei, -mann, -anfällig, -fest und -mäßig (Suffixoid), so könnte man meinen, daß - zumindest was heimische Formen angeht - die Begriffe "Combining form" und "Affixoid" einander entsprechen.

Affixoide sind nach Fleischer Wortbildungselemente, die sich im Übergang vom Kompositionsglied- zum Affixstatus befinden. (Fleischer 1974: 67f.)

Gegen diesen Begriff wenden Schmidt et al. zu Recht ein: "Es kann nicht geleugnet werden, daß lexikalische Einheiten im Laufe ihrer Entwicklung z.B. vom Grundmorphem zum Affix geworden sind, d.h. die Kategorie gewechselt haben. Doch synchron gesehen lassen sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt nur entweder als das eine oder das andere identifizieren." (Schmidt et al. 1987: 99)

3.3. Tietzes affixartiges Ableitungselement

Tietze versteht unter präfix- bzw. suffixartigen Ableitungselementen solche Formen, "die sich aus vollständigen linguistischen Zeichen durch Kürzung entwickelt haben" (Tietze 1974: 48, 56):

auto- aus automatic:
autofeed, autonurse, autopilot, autoradiogram;

auto- aus automobile:
auto court, auto-rodeo, autosilo, autosled, auto-tramp;

heli- aus helicopter:
helibus, helipilot, heliport, heliscoop, helitrip;

tele- aus television:
telecamera, telecourse, telefilm, telerecording, telescreen, telestation;

-(a)thon aus marathon:
danceathon, moviethon, smearathon, walkathon;

-cade aus cavalcade
camelcade, motorcade, shouldercade;

-burger aus hamburger:
cheese-burger, Paul-Bunyan-burger, Nixonburger;

-tel aus hotel:
airtel, boatel, motel, appartel;

In der Tat werden Tietzes affixartige Ableitungselemente von den untersuchten Wörterbüchern häufig als Combining forms verzeichnet:

3.4. Steins Affixoid

Stein steuert einen weiteren, wiederum abweichenden Affixoidbegriff bei. Sie unterscheidet zwei Typen von Combining forms; solche die eine freie Variante haben, wie Euro- zu Europe (Typ 1), und solche, die keine freie Variante haben, wie cosmo- oder philo- (Typ 2). Innerhalb des Typs 2 unterscheidet sie weiter:

Affixe wie cosmo-, die sowohl mit freien als auch mit gebundenen Formen auftreten: z.B. cosmodog, cosmography

3.5. Kritik am Begriff des Affixoids

Eines haben die hier vorgestellten "affixartigen Ableitungselemente", "Halbaffixe" und "Affixoide" gemeinsam; sie decken jeweils nur einen kleinen und meist jeweils einen anderen Teil des Gesamtspektrums der in gängigen einsprachigen Wörterbüchern als Combining forms bezeichneten Formen ab. Dabei sollte man doch eher das Gegenteil erwarten: Begriffe wie "affixartig" und "Affixoid" sollten Oberbegriffe sein, denn affixartig oder affixoid sind Affixe auch: Der Hase (Lepus) gehört schließlich auch zu den Hasenartigen (Leporidae).

Schon wegen der offensichtlichen Beliebigkeit des Begriffs sollte man sich daher die Empfehlung Schmidts zu Herzen nehmen, "sich von der grassierenden Affixoidomanie nicht anstecken zu lassen" (Schmidt 1987: 101).

"Combining form" ist der passendere Begriff und bei distributionell-semantischer Definition (gebundenes Wortbildungselement mit relativ hohem Gehalt an lexikalischer Information) ergibt sich die größtmögliche Übereinstimmung mit der lexikographischen Praxis.

zum Kapitel 4.

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